Dr. Christoph Nitschke

Systemische Aufstellungsarbeit - die neun größten Überraschungen


 

Inhalt:
  1. "Die ist ja genau wie meine Mama"

  2. "Endlich verstehe ich es"

  3. "Dass die größte Kraft ausgerechnet von da kommt ..."

  4. "Du hast ja eine ganz andere Ausstrahlung"

  5. "Die Schmerzen sind einfach weg"

  6. "Als ich heimkam, war mein Mann ganz anders zu mir"

  7. "Es ist wirklich so gekommen wie in der Aufstellung"

  8. "In so vielen Aufstellungen konnte ich mich wiederfinden"

  9. "Ich habe mich in der Gruppe so wohlgefühlt"

In diesem einführenden Beitrag erfährst Du mehr über die positiven Erlebnisse, die Dich in der systemischen Aufstellungsarbeit erwarten. Dabei stehen die Dinge im Vordergrund, von denen meine Klienten/innen in all den Jahren am meisten überrascht waren, speziell die Anfänger. Insofern ist hier auch ein wenig von den kleinen und großen Wundern die Rede, die es immer wieder gegeben hat. Jede der großen Überraschungen, die Du gleich kennenlernst, ist zugespitzt auf einen typischen Ausruf, wie ich ihn in meiner alltäglichen Arbeit oft höre.
Wenn systemische Aufstellungen für Dich noch ein Buch mit sieben Siegeln sind, empfehle ich Dir, dass Du zuerst die allgemeine Einführung liest.

 1. „Die ist ja genau wie meine Mama“

Beginnen wir mit dem, was fast alle Neulinge der systemischen Arbeit zum Staunen bringt und teilweise regelrecht fassungslos macht: Die gewählten Stellvertreter geben etwas Wesentliches von dem wieder, was für die realen Personen aus dem System charakteristisch ist. Und zwar, obwohl diese „Wildfremden“ wenig oder gar nichts über diejenigen wissen, für die sie stehen. So als ob sie bei diesen zuhause gewesen wären, sie genau beobachtet hätten und sie nun nachmachen wollten.

Die Stellvertreterin der Mutter nimmt z.B. die Körperhaltung und den Gesichtsausdruck der echten Mama an. Der Stellvertreter des Vaters atmet z.B. auf einmal so schwer wie der lungenkranke echte Vater. Manchmal kommen sogar die Redewendungen von zuhause zur Sprache, oder eine Stellvertreterin benutzt Worte aus der Umgangssprache, die für die Region typisch ist, aus der die Klientin kommt. Dieses Phänomen heißt in der Fachsprache „repräsentierende Wahrnehmung“ und stellt selbst für die Fachwelt immer noch ein Rätsel dar.

Die Erfahrung stimmiger Reaktionsmuster hat übrigens sehr zur Glaubwürdigkeit der Aufstellungsarbeit beigetragen und schon viele Menschen, die anfangs sehr skeptisch waren, zu begeisterten Anhängern gemacht.

Die repräsentierende Wahrnehmung ist unbestechlich. Sie kann neben dem Vertrauten auch Seiten zum Vorschein bringen, die für den/die Klientin befremdlich sind, weil sie im Hinblick auf die vertretenen Personen vielleicht noch gar nicht bekannt oder bewusst waren. Das ist schlichtweg die andere Seite der Medaille: Es kommt eben das Wesentliche, ob man/frau es gezeigt bekommen will oder nicht.

Die Stellvertreter berichten auf Nachfrage ebenfalls regelmäßig davon, wie bestimmte körperliche Reaktionen einfach über sie kommen oder wie bestimmte Worte sich auf ihre Zunge legen, ohne dass sie Gelegenheit hatten, darüber nachzudenken oder sich etwas auszudenken.

2. „Endlich verstehe ich es“

Systemische Aufstellungen dienen dazu, einer Störung auf den Grund zu gehen. Dadurch lösen sich oft quälende Ungewissheiten auf, was die Klienten/innen sehr erleichtert. Endlich wird z.B. die Ungleichbehandlung beim Erbe nachvollziehbar, weil auf einmal der Grund für die Bevorzugung eines Geschwisters offensichtlich wird (weil es ein wichtiges Geheimnis mitgetragen hat). Endlich wird verständlich, dass der Papa z.B. deshalb kaum anwesend war, weil er selber immer auf der Suche nach der Person war, die ihm gefehlt hat (z.B. der früh verstorbene große Bruder).

Immer wieder mal muss eine Aufstellung um drei Ecken und zwei lange Biegungen herumführen, um zur eigentlichen Ursache eines Problems vorzustoßen. Oder es kristallisieren sich nach und nach sogar vier verschiedene Ursachen für ein und dieselbe Störung heraus. Oder es zeigt sich, dass ein einziges, lang zurückliegendes Leid so viele Nachkommen in Mitleidenschaft gezogen hat und so verschiedene Störungen nach sich gezogen hat – z.B. eisiges Schweigen, gesundheitliche Lasten und gravierende Fehlentscheidungen.

3. „Dass die größte Kraft ausgerechnet von da kommt…“

Du weißt weder als Klient/in noch als Leiter/in einer Aufstellung vorher, von wo die größte Unterstützung kommt, um die bestehende Störung zu überwinden. Mal sind es die Menschen, mit denen Du das größte Problem hattest, nachdem sich Eure Beziehung im Verlauf der Aufstellung zum Positiven wendet. Mal ist es der ausgewanderte und vielleicht schon verstorbene Onkel, der nach dem Verfahren „Versuch und Irrtum“ mit ins Bild genommen wurde und der Dir nun unbedingt den Rücken stärken will. Mal sind es Deine Großmütter in der vierten und sechsten Generation, die sich zusammentun, um Dir den lang ersehnten Segen für Deinen Weg zu erteilen.

Mal ist es die verlorene alte Heimat Siebenbürgen, die Dir Wurzelkraft schenkt, nachdem Eure Familie fliehen musste. Mal ist es die extra aufgestellte „Luft“, die Dich wieder frei atmen lässt. Mal bringt der „Engel der Vergebung“ die große Wende, wenn Du ein Mensch bist, der an Engel glaubt. Tausende von Überraschungen sind hier möglich – abhängig auch von der Kreativität des Aufstellungsleiters.

4. „Du hast ja eine ganz andere Ausstrahlung“

Zu den schönsten Überraschungen zählen natürlich die positiven Nachwirkungen einer Aufstellung. Manchmal stellt sich die Wirkung sofort ein und ist bei den Klienten/innen in der Körperhaltung, im Gesichtsausdruck oder in der Strahlung der Augen nachzulesen, sobald die Aufstellung beendet ist. Für alle Anwesenden ist es eine große Freude, das mitzuerleben und dies den wie verwandelt wirkenden Klienten/innen mitzuteilen. Diese freuen sich natürlich ihrerseits über solche Rückmeldungen. Das gilt natürlich auch noch später, wenn sich die Teilnehmer/innen nach ein paar Monaten geplant oder zufällig wieder begegnen.

5. „Die Schmerzen sind einfach weg“

Die Wirkungen können bei den Klienten/innen auch sehr in die Tiefe gehen, so dass z.B, chronische Schmerzen verschwinden, sich kranke Organe erholen, sich schulische Leistungen nachhaltig verbessern, abgebrochene Kontakte wieder aufleben, die verloren geglaubte Liebe wieder entflammt oder der so lange blockierte Geldfluss potenziert einsetzt.

Bis heute weiß ich auch nach rund 17.000 Aufstellungen nicht so recht, woran es genau liegt, wie schnell oder wie tiefgreifend die Verbesserung ist, die sich infolge einer systemischen Aufstellung zeigt. Doch ich forsche immer wieder dazu und eines zeichnet sich ab: Den akuten Störungen liegen fast immer tiefer sitzende Ursachen zugrunde, die ich deshalb auch Grundverluste nenne. Wenn die Menschen sich der Grundverluste in ihrem System voll und ganz bewusst werden und bleiben, ist die gefundene Lösung i.d.R. schneller und/oder nachhaltiger wirksam.

6. „Als ich heimkam, war mein Mann ganz anders zu mir“

Systemische Aufstellungen wirken nicht nur auf die anwesenden Klienten, sondern prinzipiell auch auf die abwesenden Personen, die in der Aufstellung von Bedeutung waren - vor allem, wenn sie mit im Bild standen. Diese Abwesenden tun auf einmal etwas, was für sie ganz ungewöhnlich ist. Der Mann empfängt seine Frau nach der Aufstellung mit einem schönen Essen. Die Kinder wirken auf einmal so entspannt. Der Vater ist viel zugewandter. Die Schwester, die sich sonst nie meldet, hat auf dem Anrufbeantworter eine Nachricht hinterlassen.

Warum das wohl so ist? Ein Grund ist, dass die Klienten/innen mit ihrem neuen Bild nach Hause kehren und anfangen, ihre Gegenüber mit anderen Augen zu sehen. Das öffnet diesen die Tür für neue Verhaltensweisen. Ein anderer Grund liegt darin, dass die systemische Arbeit die gestellten Systemmitglieder in der Seele berührt. Die Seele ist nicht an Ort und Zeit gebunden und kann die Impulse unmittelbar aufnehmen, egal wo das Ich sich gerade aufhält und was es über die Aufstellung denkt.

7. „Es ist wirklich so gekommen wie in der Aufstellung“

Es gibt Aufstellungen, die in die Zukunft ausstrahlen oder diese Zukunft näher heranzoomen. Das junge Paar etwa stellt das schon so lang erwünschte „Häuschen im Grünen“ auf, das ihnen dann auf einmal von um drei Ecken Bekannten zum Verkauf angeboten wird. Das ältere Paar ist schon lange kinderlos, hat viele Versuche der künstlichen Befruchtung vergeblich unternommen und stellt die Kinderseele auf, die doch bitte bei ihnen auf die Welt kommen möge. Und plötzlich wird die Frau schwanger. Der geschiedene Mann stellt die „Frau des Herzens“ auf, in die er sich neu verlieben will, und bringt sie beim nächsten Mal gleich mit, um  sie allen vorzustellen, die bei seiner Aufstellung dabei waren.

8. „In so vielen Aufstellungen konnte ich mich wiederfinden“

Wer an einem Aufstellungswochenende mitgewirkt hat, sagt am Ende oft: „Mir hat nicht nur meine eigene Aufstellung viel gebracht, ich konnte mich auch in vielen anderen Aufstellungen wiederfinden“. In solchen Äußerungen leuchtet die Idee der Allverbundenheit auf, von der wir in den Gruppen immer wieder mal kosten dürfen: Jede/r erkennt etwas von sich im Gegenüber wieder, jede/r kann für alle Situationen und Bitternisse Mitgefühl empfinden, jede/r kann jeden Fortschritt mitfeiern.

9. „Ich habe mich in der Gruppe so wohlgefühlt“

Für Neulinge ist das eine ungewöhnliche, bisweilen irritierende Erfahrung, die wohlwollende und herzliche Atmosphäre einer Aufstellungsgruppe zu erleben. Jede/r darf so sein wie er/sie ist und wird auch so angenommen wie er/sie nun einmal ist. Es gibt immer wieder Teilnehmer/innen, die diese Art von Geborgenheit erstmals in der Gruppe erfahren. Entsprechend schwer fällt am Ende oft der Abschied. Allerdings legen meine Mitorganisatoren/innen und ich als Gruppenleiter auch bewusst großen Wert auf die Schaffung einer liebevollen Atmosphäre und eines lebendigen Miteinanders.

Diese Beiträge könnten Dich auch interessieren:

Systemische Aufstellungsarbeit - was ist das überhaupt?

Systemische Aufstellungsarbeit - die 13 häufigsten Bedenken und wie sie sich ausräumen lassen