Dr. Christoph Nitschke

Systemische Aufstellungsarbeit - die 13 häufigsten Bedenken und wie sie sich ausräumen lassen


 

Inhalt:
  1. "Das ist doch nicht echt, sondern alles gespielt"

  2. "Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll"

  3. "Ich habe Sorge, dass mir da was übergestülpt wird"

  4. "Das war ganz anders als dieses Mal"

  5. "Die zuhause sind gar nicht einverstanden, wenn ich aufstelle"

  6. "Ich will meine Angehörigen nicht belasten"

  7. "Ich habe Angst, mich zu überfordern"

  8. "Ich will mich nicht auch noch mit dem Leid von anderen belasten"

  9. "Ich kann meine Geschichte niemand zumuten"

  10. "Und wenn jemand was von mir weitererzählt ..."

  11. "Da kenne ich ja niemand"

  12. "Ich mag mit den Ergebnissen nicht allein im Regen stehen"

  13. "Und Corona?"

Neigst Du grundsätzlich zu Vorsicht? Bist Du eher skeptisch und mit einem „gesunden Misstrauen“ ausgestattet, ohne gleich voll dagegen zu sein? Dann bist Du hier richtig. Denn ich stelle Dir in diesem Beitrag die häufigsten Bedenken gegen das systemische Aufstellen vor.

Bedenken führen meist zu Verunsicherung und Anspannung. Ich nehme alle Einwände, Zweifel und Sorgen ernst und nehme sie an. Das ist der erste Schritt zur Entspannung. Der zweite Schritt besteht in hilfreichen Antworten auf die Bedenken, damit es leichter wird, sie zu überwinden. Auch darüber erfährst Du hier mehr. Beides sind gute Gründe, warum ich glaube, dass ich eine gute Adresse für Aufstellungen bin. Zumal ich selbst einer war, der sich nicht vorstellen konnte, wie diese Arbeit gut funktionieren soll.
An anderer Stelle drehe ich den Spieß übrigens um und stelle die größten positiven Überraschungen beim Aufstellen vor. Das Wissen um Überraschungen kann ebenfalls für Entspannung sorgen – manchmal allerdings auch für Spannung oder Anspannung.

Über systemische Aufstellungen wird nun wirklich viel gemunkelt, geraunt und behauptet – auch von Leuten, die noch nie welche erlebt haben. Andere waren schon bei Aufstellungen, haben ungute Erfahrungen gemacht und neigen dazu, diese zu verallgemeinern. Wieder andere haben vielleicht etwas missverstanden und daraus ein Vorurteil gebildet. Nochmals andere stehen vor der Entscheidung, eine Aufstellung zu machen, sind jedoch hin- und hergerissen, weil ihnen so gegensätzliche Eindrücke zu Ohren gekommen sind. Insofern bietet es sich an, sich erst mal allgemein über systemische Aufstellungen sachkundig zu machen.

Ich hoffe, dass auch dieser Text Dir hilft, die Entscheidung für oder gegen eine Aufstellung leichter zu treffen. Wie „bedenklich“ eine Aufstellung ist, hängt allerdings immer stark von der Person ab, der Du Dich dafür anvertraust, von ihrem Leitungsstil sowie von der Gruppe, in die Du Dich begibst.

Die Bedenken betreffen einige wesentliche Grundfragen, die mir seit bald 20 Jahren immer wieder begegnen. Die meisten von ihnen beziehen sich auf Aufstellungen, die in einer Gruppe stattfinden.

1. „Das ist doch nicht echt, sondern alles gespielt“

In einer Aufstellungsgruppe werden andere Personen für Dich tätig, die vorübergehend die Menschen, Lebewesen oder Dinge vertreten, um die es bei Deinem Thema geht. Diese sog. Stellvertreter/innen liefern Dir häufig ein plastisches und manchmal drastisches Bild von Deiner Lebenssituation. Wer dies aus großer Ferne oder gar nur am Bildschirm erlebt, hält das manchmal für Schauspielerei oder schlimmstenfalls für ein abgekartetes Spiel.

Doch wenn Du selbst der Klient bzw. die Klientin bist, weißt Du es besser. Du selbst wählst Deine Stellvertreter/innen aus und kannst beurteilen, wer von ihnen wie viel über Dich weiß. Du hättest mitbekommen, wenn der Aufstellungsleiter ihnen vorab Regieanweisungen gegeben hätte, wie sie sich zu verhalten haben. Du selbst kommst zu Deiner Einschätzung, wie authentisch Du den Aufstellungsprozess für Dich und andere erlebst. Probiere es also einfach aus! Achte auf Natürlichkeit, denn die Natur ist echt, sie braucht nichts vorzumachen!

2. „Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll“

Wenn Du zu gegebener Zeit kein ernsthaftes Herzensanliegen hast, macht eine eigene Aufstellung keinen Sinn. (Wobei Du in einer Gruppe immer noch als Stellvertreter/in hineinschnuppern könntest.) Du brauchst den Impuls zum Vorankommen. Hingegen brauchst Du nicht unbedingt schon vor Deinem Termin genau zu wissen, wie Du Dein Problem beim Namen nennst. Entscheidend ist Deine Entschlossenheit, etwas für Dich oder Deine Liebsten positiv verändern zu wollen. Manchmal bekommst Du erst durch die Themen der anderen die Inspiration, um Dein Anliegen auf den Punkt zu bringen.

Es gibt Teilnehmer/innen, die sich intensiv schriftlich vorbereiten, während andere aus dem Bauch heraus loslegen. Manche neigen dazu, „vom Hölzchen aufs Stöckchen zu kommen“ oder das Eigentliche auf andere Weise zu umschiffen. In jedem Fall ist es Aufgabe des Aufstellungsleiters bzw. der Leiterin, im Zuge der Auftragsklärung Dein Thema so zuzuspitzen, dass sich etwas Wesentliches zeigen kann. Es kommt vor, dass sich während Deiner Aufstellung das Thema noch ein wenig wandelt, weil auch im Prozess eine wohlwollende Instanz in Dir wirkt – der sog. „innere Heiler“ bzw. die „innere Heilerin“. Du kannst Dich also darauf verlassen, dass Du Dein Thema nicht verfehlen wirst.

3. „Ich habe Sorge, dass mir da was übergestülpt wird“

Jede/r empathische Leiter/in wird Dich ernstnehmen und das Beste geben, schon im Rahmen der Auftragsklärung Dein volles Ja für die Aufstellung zu bekommen. Du bestimmst also von Anfang an mit. Der besagte „innere Heiler“ bzw. Deine innere Weisheit wacht ebenfalls darüber, dass früher oder später die „Knackpunkte“ zum Vorschein kommen. Und zwar sogar dann, wenn die leitende Person gewisse Vorurteile oder blinde Flecken hat oder wenn ein einzelner Stellvertreter an seinem Platz mal zu sehr in seinen eigenen Film geraten sollte.

Die selbstorganisierende Kraft, die sich aus Deiner inneren Weisheit speist, lässt die Stellvertreter/innen in ihrer Gesamtheit so zusammenwirken, dass auf der Suche nach der Lösung vorübergehende Irrwege als solche kenntlich werden und dass alle Beteiligten den Prozess als stimmig erleben. Das kann allerdings seine Zeit dauern – Zeit, die Aufstellungsleiter/innen übrigens in sehr unterschiedlichem Maße gewähren. Insofern hast Du selbst wiederum durch die Wahl des/r Leiters/in einen maßgeblichen Einfluss darauf, dass Du genügend Zeit bekommst. Und dass alles sein darf, was sich zeigen will.

4. „Da war es ganz anders als dieses Mal“

Dieser Einwand ist eher ein gutes Zeichen. Denn jede Aufstellung steht für sich. Das System, dem Du angehörst, entwickelt sich ständig weiter und Du selbst auch. Dadurch fördert jede zusätzliche Aufstellung, die Du nach einer Weile machst, auch wieder neue Aspekte zutage - selbst dann, wenn es ums selbe Thema geht.

Wenn jemand anders aus Deiner Familie dasselbe Thema aufstellt (womöglich gar am selben Tag), zeigen sich – neben vielen Gemeinsamkeiten – ebenfalls deutliche Unterschiede. Denn jedes Familienmitglied steht im System an einem anderen Platz, hat von dort aus einen eigenen Blickwinkel und ist von den wichtigen Vorgängen im System auf jeweils andere Weise betroffen.

Insofern deckt kein Aufstellungsbild die ganze Wirklichkeit ab, sondern immer nur den Ausschnitt, der für die aufstellende Person zum Zeitpunkt der Aufstellung lehrreich ist. Die eine objektive, einzig wahre Wirklichkeit existiert nicht.

5. „Die zuhause sind gar nicht einverstanden, wenn ich aufstelle“

Du musst niemandem sagen, dass Du aufstellst. Du musst auch niemand um Erlaubnis bitten oder Dir ein Einverständnis holen. In manchen Konstellationen ist es sogar besser, vorab nicht darüber zu sprechen, damit Du nicht noch zusätzlichen Stress bekommst. Solcher Stress entsteht, wenn Du wegen Deines Vorhabens auf Ängste stößt, Einwände oder Vorwürfe zu hören bekommst oder wenn jemand Dich oder die Methode anzweifelt bzw. lächerlich macht.

Du hast Dein natürliches Recht auf Deine Aufstellung. Allerdings kommt es darauf an, Dein Anliegen so zu formulieren, dass es dabei um Dich geht: um Deine Beziehung zu jemand oder etwas, um Deine Möglichkeiten, etwas Positives für Dich und das Ganze zu bewirken etc. Wenn es um Deine nicht-erwachsenen Kinder geht, darf deren Wohl im Mittelpunkt stehen, da Du ihr/e legitime/r Interessenvertreter/in bist (ähnlich bei Vorsorgevollmachten).

Selbstverständlich ist das Ganze schöner oder es fällt leichter, wenn die Personen, die von Deinem Thema mitbetroffen sind, ihr Einverständnis zu Deiner Aufstellung geben, diese sogar befürworten oder Dich anderweitig unterstützen (indem sie Dich z.B. in der Zeit entlasten bzw. vertreten, Dich hinbringen oder abholen). Als besonders schön erlebe ich es, wenn die Beteiligten mit zur Aufstellung kommen – also z.B. Mann und Frau, Eltern und Kinder, mehrere Geschwister, mehrere Kolleginnen etc. Solche Aufstellungen setzen oft zusätzliche Kräfte frei – erst recht, wenn sie als gemeinsame Aufstellung angelegt sind oder wenn mehrere Personen aus einer Familie nacheinander aufstellen.

Auch nach einer Aufstellung musst Du nicht darüber sprechen. Häufig ist es sogar besser, zu schweigen und das Lösungsbild in der Stille wirken zu lassen. Menschen gegenüber, die nichts von Aufstellungsarbeit halten, gibst Du besser nichts preis. Für andere wiederum könnte es sehr wertvoll sein, wenn Du mit ihnen die Ergebnisse oder Dein Erleben teilst. Reden oder Schweigen, ab wann reden und wie lange schweigen – es kommt immer auf den Einzelfall an.

6. „Ich will meine Angehörigen nicht belasten“

Der Aufstellungsprozess ist „von Natur aus“ – was für ein Segen! – auf das Wohl aller Beteiligten ausgerichtet, ohne dass sich genau erklären lässt, warum. Dieser Mechanismus kann höchstens durch Unerfahrenheit, Fahrlässigkeit oder Böswilligkeit geschwächt werden. Er erhält noch zusätzliche Schubkraft, Tiefe sowie Reichweite durch eine Leitung, die die Beteiligten, ob anwesend oder nicht, bedingungslos in ihr Herz nimmt.

Von daher kannst Du keinen Schaden anrichten, wenn Du Deine Aufstellung in guter Absicht angehst. Allerdings zeigen manche Angehörige vorübergehend Erstreaktionen, die für Dich oder sie selbst nicht immer angenehm sein müssen. Das kommt am ehesten dann vor, wenn Du mit Hilfe der Aufstellung Dinge loswirst, die Dich unnötig beschränkt bzw. belastet haben. Oder wenn andere Mitglieder des Systems entlastet werden, die zu viel getragen haben. Wenn Verantwortlichkeiten oder Lasten an den Platz kommen, wohin sie gehören, und dort spürbar werden, ist dies für die entsprechenden Personen jedoch genau sinnvoll. Und es dient dem Wohl des Ganzen.

Einen Punkt, um den sich überdurchschnittlich viele Sorgen ranken, will ich besonders betonen:  Du kannst mit Deiner Aufstellung keinen Menschen krank machen oder gegen dessen Willen dem Tod näherbringen. Diesbezügliche Bewegungen oder Muster sind immer in ihm selbst angelegt.

7. „Ich habe Angst, mich zu überfordern“

Das Prinzip „zum Wohl aller Beteiligten“ gilt selbstverständlich auch für Dich selbst. Du bekommst in Deiner Aufstellung immer nur so viel mit auf Deinen weiteren Weg, wie es Deinen Kapazitäten zu dem Zeitpunkt entspricht. Das ist für mich eine der großartigsten Qualitäten der Aufstellungsarbeit und bestätigt sich für mich Monat für Monat neu, wo und wie auch immer ich tätig bin. Und zwar völlig unabhängig davon, wie „heftig“ das Thema der Aufstellung ist oder wie schwerwiegend das zugrundeliegende Leid ist. Was für ein wunderbarer Schutz für alle, die mitmachen – für die Klienten/innen selbst, für die Stellvertreter/innen und für die Leitung!

Allgemeine Erschöpfungszustände, plötzliche Erkrankungen im Vorfeld des Termins (mit dem verführerischen Reiz, den Termin abzusagen) sowie akute gesundheitliche Einschränkungen, Ängste oder Nervosität zu Beginn eines Termins sind von der Sache her kein Hindernis für eine Aufstellung. Im Gegenteil: Solche Befindlichkeiten enthalten oft wertvolle Hinweise für die gute Lösung. Akute Beschwerden verringern sich in aller Regel, sobald am Thema gearbeitet wird.

Wer geschwächt ist und an einer Gruppe teilnimmt, hat selbstverständlich jederzeit das Recht, Nein zu sagen, wenn er/sie gebeten wird, Stellvertreter/in zu sein. Übrigens auch aus anderen Gründen wie etwa der Sorge, sich für einen bestimmten Platz zu vorbelastet, zu unvorbereitet zu unerfahren etc. zu fühlen.

Wer unbedingt nach Hause will oder muss, kann vorzeitig gehen – am besten in gegenseitigem Einvernehmen und mit bewusster Verabschiedung aus der Gruppe.

8. „Ich will mich nicht auch noch mit dem Leid von anderen belasten“

„Ich habe schon genug an meinen eigenen Problemen zu tragen. Was ist, wenn ich etwas von den anderen mit nach Hause nehme?“ Das äußern ziemlich viele Neulinge. Die Sorge ist verständlich, zumal Du in einer Gruppe ja viel vom Leid anderer Menschen erfährst und ggf. als Stellvertreter/in in deren System etwas vom dort vorhandenen Leid mit Deinem Körper, Deinem Geist und Deiner Seele wahr- und aufnimmst.

Doch mache Dir bewusst: Du durchlebst den ganzen Prozess. Am Anfang nimmst Du Anteil am Problem, am Ende nimmst Du Anteil an der Lösung. Du hast also immer die Wahl, inwieweit Du Dich bewusstseinsmäßig auf das Leiden oder auf die Befreiung davon ausrichtest. Fast alle Teilnehmer/innen an meinen Gruppen schaffen es aus eigener Kraft, die Aufmerksamkeit auf das Aufbauende zu lenken.

Selbstverständlich bist Du frei, mit anderen mitzufühlen – auch über die Zeitdauer von deren Aufstellung und über die gemeinsame Zeit in einer Gruppe hinaus. Doch ist es wichtig, dass Du Dich nach jeder Aufstellung – ob als Stellvertreter/in oder als Zuschauer/in – emotional und mental aus allen Bindungen löst. Du selbst trägst in der Hinsicht die Hauptverantwortung für Dich. Ich als Aufstellungsleiter lege darüber hinaus großen Wert auf ein gemeinschaftliches Ausstiegsritual nach jeder Aufstellung.

Die im Chor erlebte Beendigung hat ihre ganz eigene Kraft. Sollte sich danach ausnahmsweise immer noch jemand belastet, gefangen oder durcheinander fühlen, schließe ich auf die Personen zugeschnittene Entlassungs- und Ablösungsrituale an, die mehrschrittige Begegnungen zwischen dem eigentlichen Klienten und der mit ihm überidentifizierten Person umfassen. Auch solche Probleme beim Loslassen haben ihren Sinn und Wert, erzählen sie doch etwas darüber, wo die verhinderten Aussteiger noch mehr hinschauen sollten: z.B. auf das verwandte und ungelöste eigene Thema, auf Abgrenzungsschwierigkeiten oder auf die Neigung, andere retten zu wollen.

9. „Ich kann meine Geschichte niemand zumuten“

Manche Teilnehmer/innen denken mehr an die anderen als an sich. Sie glauben, sie würden die übrigen Teilnehmer/innen mit ihrem Schicksal übermäßig beanspruchen. Zum Teil zögern sie dann auch, jemand zu bitten, einen besonders heiklen Stellvertreterplatz zu übernehmen. Doch wie gesagt: Jede/r darf Nein sagen, der/die angefragt wird. Zum anderen relativiert sich das eigene Schicksal im Angesicht all der anderen Themen, die bearbeitet werden. Schließlich hat jede/r von uns einiges im Lebensrucksack, was schwer wiegt.

Hinzu kommt, dass das mehrfach erwähnte „Wohl aller Beteiligten“ sämtliche Teilnehmer/innen einer Gruppe umfasst. Auch jede Gruppe bekommt immer nur so viel zugemutet wie sie verkraftet. In den von mir geleiteten Gruppen ist es sogar umgekehrt so, dass sie gleichsam „erst recht“ zur Hochform auflaufen, wenn es um besondere Herausforderungen geht. Das hat mit dem bestehenden Vertrauensverhältnis, mit vergangenen Gruppenerfahrungen sowie damit zu tun, dass ich in jeder Gruppe das Selbstverständnis von einer gemeinschaftlichen Schöpferkraft pflege, zu der jede/r einzelne einen Beitrag leistet und die alle gemeinsam trägt sowie wachsen lässt. Daraus entsteht oft ein erstaunliches Gruppenselbstbewusstsein.

Sollte wirklich jemand in der Gruppe sein, der ein bestimmtes Thema glaubt nicht aushalten zu können, kann diese Person sich während der zugehörigen Aufstellung eine Auszeit nehmen und beispielsweise einen Spaziergang machen.

10. „Und wenn jemand was von mir weitererzählt …“

Es ist eine Art unausgesprochenes Gesetz bzw. eine unausgesprochene Übereinkunft in der Welt der Aufstellungsgruppen, dass alle Anwesenden sorgsam mit dem umgehen, wovon sie Kenntnis erhalten (Verschwiegenheitsgebot). Dies schließt die Regel ein, dass alles, was bekannt wird, in der Gruppe verbleibt. Die Konvention schützt alle Teilnehmer/innen in ihrer Intimsphäre. Die Macht der Konvention zieht von vorneherein ähnlich Gesinnte an. Das Vertrauen in ihre Wirksamkeit ist sogar eine wesentliche Erfolgsbedingung der Aufstellungsarbeit, eine Voraussetzung dafür, sich überhaupt öffnen zu können und auch außergewöhnliche Lösungswege zu entdecken.

In diesem Vertrauen kommen die Teilnehmer/innen in die Gruppe. Es bietet sich an, dass der/die Leiter/in zu Beginn der Gruppe auf die Übereinkunft hinweist bzw. an sie erinnert und ihr je nach Zusammensetzung der Gruppe auch besonderen Nachdruck verleiht.

Das gilt vor allem dann, wenn Aufstellende die Sorge haben, dass jemand aus der Gruppe sie oder eigene Angehörige kennt, dass es gemeinsame Bekannte gibt, dass es zu Dorfgesprächen kommen könnte etc. Oder wenn die Aufsteller/innen überrascht sind, tatsächlich Bekannte anzutreffen – im schlimmsten Fall solche, denen sie lieber nicht begegnet wären. Herrscht eine wertschätzende Grundatmosphäre in der Gruppe, lösen sich solche Vorbehalte in aller Regel nach kurzer Zeit auf.

Trotz der Übereinkunft und trotz des erlebten Miteinanders insgesamt kann es Konstellationen geben, in denen die Anwesenheit einer bestimmten Person den Klienten bzw. die Klientin hemmt. In solchen Fällen ist es mir bislang immer gelungen, eine einvernehmliche Lösung zu finden, ohne je ein Anliegen schmälern oder aussetzen zu müssen oder jemand darum ersuchen zu müssen, die Gruppe zu verlassen (außer für die Dauer einer Aufstellung). Auch im Nachhinein gab es noch nie Enttäuschungen oder Verletzungen deswegen, soweit ich aus unzähligen Kontakten weiß, die seit Jahren oder Jahrzehnten bestehen.

Im Übrigen haben alle Interessenten/innen an einer Aufstellung die Freiheit, an einer Gruppe – meist weiter weg von der Heimat – teilzunehmen, wo es höchst unwahrscheinlich ist, Bekannte zu treffen. Für manche hat es sogar einen besonderen Reiz zu verreisen.

 

 

11. „Da kenne ich ja niemand“

Für andere wiederum ist es wertvoll, in der Nähe ihres Heimatortes aufzustellen. Neben der Bequemlichkeit und den geringeren Kosten spielt dabei vor allem hinein, dass es für viele, ja für die meisten Teilnehmer/innen eine schöne Vorstellung ist, Bekannte wiederzutreffen, an früheren Begegnungen anzuknüpfen, sich über Veränderungen im Leben auszutauschen und Erfolge zu feiern.

Manche tun sich schwer, in eine Gruppe hineinzufinden und sich dort zu öffnen – speziell wenn sie noch niemand kennen. Jede/r Gruppenleiter/in ist angehalten, darauf Rücksicht zu nehmen und entsprechende Brücken zu bauen. In den von mir geleiteten Gruppen ist es selbstverständlich, alle Teilnehmer/innen gleichermaßen willkommen zu heißen – ob altbekannt oder ganz neu, ob zurückhaltend oder offensiv. Alle wirken daran auch mit. Insofern kannst Du davon ausgehen, dass Deine etwaige Scheu im Laufe der Zeit nachlässt oder ganz verschwindet. Gleichzeitig bist Du frei, den Abstand zu halten, der für Dich stimmt.

12. „Ich mag mit den Ergebnissen nicht allein im Regen stehen“

Eine Aufstellung kann im Alltag vielfältige Wirkungen nach sich ziehen – Wirkungen nahe beim Thema oder weiter von ihm weg, erhoffte und unerwartete, leicht zu nehmende und herausfordernde, Wirkungen bei Dir und bei anderen, Wirkungen, die sehr bald schon oder erst nach einer Weile eintreten. Die Wirkungen sind nicht vorhersagbar.

Wie es Dir mit den Wirkungen geht, hängt von Deinem Verständnis für Zusammenhänge, von Deinem Selbstvertrauen, Deiner Geduld und Deiner Fähigkeit zur Selbst- und Fremdfürsorge ab. Ob Du Dich damit allein fühlst, hängt außerdem von Deiner Beziehung zum Leiter oder der Leiterin der Aufstellung und von der ausgesprochenen oder unausgesprochenen Vereinbarung zwischen Euch ab.

Meine Grundempfehlung kann nur lauten: Geh´ in die Selbstverantwortung! Kläre vorab, ob und in welcher Form Du im Nachhinein eine Begleitung bekommst! Melde Dich, wenn Du nicht klarkommst! Hole Dir zusätzliche Unterstützung, sofern Du sie brauchst!

13. „Und Corona?“

Die Corona-Krise hat vieles verändert. Je nach Land, Bundesland und Infektionsstand ist es eine offene Frage, ob eine Gruppe überhaupt stattfinden kann und wie das Hygienekonzept auszusehen hat. Jeder Veranstaltungsort bzw. jede Räumlichkeit schaffen ihre eigenen Rahmenbedingungen. Jeder Termin folgt eigenen Dynamiken, je nachdem, was gerade öffentlich diskutiert wird und wer mit welchem Risikoprofil und mit welchen Sorgen kommt. Jede Gruppe muss ihren guten Umgang mit den bestehenden Beschränkungen und geäußerten Bedürfnissen finden. Jede/r gute Aufstellungsleiter/in kann das methodische Repertoire den äußeren und inneren Gegebenheiten der Gruppe anpassen.

 

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